Multispektrale Neudigitalisierung des "Rostocker Liederbuchs"
Schon bei seiner Auffindung 1914 durch den Rostocker Bibliothekar Bruno Claussen waren die Seiten des "Rostocker Liederbuchs" in keinem guten Erhaltungszustand. Bei einer Restaurierung der Handschrift im Jahr 1960 konnten zwar die Blattränder stabilisiert werden, allerdings wurde dabei ein Teil der Tinte weiter ausgewaschen, worunter die Lesbarkeit vieler Stellen sehr gelitten hat. Im September 2016 wurden nun in Kooperation zwischen dem Centre for the Study of Manuscript Cultures der Universität Hamburg in einem aufwändigen Digitalisierungsverfahren in den Räumlichkeiten der Universitätsbibliothek Rostock neue Aufnahmen von der Handschrift mit dem Ziel angefertigt, andere und neue Erkenntnisse zu den Texten und Melodien des "Rostocker Liederbuchs" zu erlangen. Dafür haben Ivan Shevchuk und Olivier Bonnerot aus dem Projekt „Z01: Manuscript Analysis to Recover Lost Writing“ (Projektleitung: Prof. Dr. Christian Brockmann; http://www.manuscript-cultures.uni-hamburg.de/Projekte_p2.html#PBZ) hochauflösende Multispektralabbildungen jeder Handschriftenseite angefertigt und diese in unterschiedlichen Zustandsstufen der Arbeitsgruppe für die Neuedition des „Rostocker Liederbuchs“ für ihre Untersuchungen zur Verfügung gestellt.
Schnell zeigte sich, dass die Neuaufnahmen einen wahren Meilenstein in der Erforschung der Handschrift darstellen: Nicht nur sind zahlreiche Stellen, die durch die Verwitterung der Handschrift im Laufe des 20. Jahrhunderts nicht mehr lesbar wurden, wieder zu erkennen, die neuen Abbildungen führen vielmehr auf einen Textzustand zurück, der schon Friedrich Ranke und Joseph Müller-Blattau bei der Arbeit an ihrer Edition so nicht mehr zur Verfügung stand.
Sichtbar ist nun z.B. der in der Handschrift vorher fast vollständig getilgte Text der RLB Nr. 32 (siehe die nebenstehenden Abbildungen: oben das 'alte' Jügelt-Faksimile, unten das Neudigitalisat), von dem auch Ranke und Müller-Blattau nur Bruchstücke erahnen konnten. Berücksichtigt man den obszönen Charakter der aufgezeichneten Strophe wird doch schnell deutlich, warum der Text in der Handschrift ausradiert worden ist.
Auf der Datengrundlage der neuen Bilder wird nun eine vollständige Neutranskription des gesamten Corpus sowohl am Institut für Germanistik der Universität Rostock als auch innerhalb des Projektes "Referenzcorpus Mittelniederdeutsch" an der Universität Hamburg vorgenommen; zugleich fließen die neuen Erkenntnisse unmittelbar in die Arbeiten zur Neuedition des "Rostocker Liederbuchs" ein, die im Laufe des Jahres 2018 erscheinen soll.