"Almechtigher got here ihesu crist"
Textinformationen
Nummer im RLB: 9
Blattnummer: 10v
Texttyp: Geistliches Lied (1.7)
Inhalt: Geistliches Lied, der sog. Tischsegen des Mönchs von Salzburg. Es verbindet die Bitte, die Speisen zu segnen mit dem Lobpreis Gottes und der Dreifaltigkeit. Wie die lat. Beischrift anzeigt, ist der Text über einen "Dominus et Magister Andreas de Prutzia" in das RLB gelangt.
Schreiberhand: 1; Hauptschreiber, Kursive
Autor: Der Mönch von Salzburg
Melodieaufzeichnung: Keine Melodie überliefert.
Notationstyp: –
Textabdruck
Ranke/Müller-Blattau (1927) – S. 229 [37]
Almechtigher got here iheſu crist,
wat lifnaringhe du vns gheuende biſt,
dy ſynt gheſegenet vnd bereit
van dir mit aller ſalicheit.
Dat vns dar ynne berure kene we,
dat help vns got, benedicite.
Her hetz datz de ſpize gezegenet ſy,
God won vns in dem etzen by
vnde och in dem drancke,
dat wi alle gode moten dancken.
Dat he ſich gnedeliken ouer vns irbarm,
gheloüet ſy god, ſpreke rik vnd arm.
De dreuolt in deme ouerſten tron,
de loue wy mit kyrieleyſon,
God vader in dem ouerſten hemmelrik
kome vns nü to troſt vnde ewichlik.
Dor ſyne drevaldighe namen
vor allem ouel amen.
Amen.
Dominus et Magister Andreas de Prutzia
[. . . . .] praeſcriptum textum cum ſuis notis.
Claussen (1919) – S. 21f.
Almechtige got, here Jheſu criſt,
Wat lifnaringe du uns gheworden biſt
Dy ſynt gheſegenet vnde bereit
Van dir mir aller ſalicheit
Dat und darynne berure nene we,
Dat help uns got, benedicite.
Her help datz de ſpize gezegenet ſy,
God won uns in dem etzen by
Unde och in deme drancke
Dat wi alle gode moten dancke.
Dat he ſich gnedeliken over uns irbarm,
Ghelovet ſy god, ſpreke rik vnde arm.
De drevolte in deme overſten tron
De love wy mit kyrieleyſon.
God vader in dem overſten hemelrik
Kome uns nü to troſt unde ewicklik.
Dor ſyne [hillighen dre]valdighe namen
Vor allem [ſchaden uns beware] amen.
Sprachstand
H/N
Lied Nr. 9 ist mittelniederdeutsch mit verschiedenen überregional verbreiteten Varianten. Eine Reihe von Formen ist hochdeutsch beeinflusst.
Niederdeutsch
Die Varianten mit o-Graphie für das gedehnte o in offener Tonsilbe – in gode 'Gott' (V. 10), ouer 'über' (V. 11), geloüet 'gelobt' (V. 12), ouersten 'obersten' (V. 13, V. 15) und loue 'loben' (V. 14) – verweisen auf das Ostf. und Westf. Die konstante Verwendung der Variante vns (V. 2, 5, 6, 8, 11, 16) hingegen deutet auf die Gebiete des Nordnd., Südmärk. und Westf. Die z-Schreibungen für stimmhaftes s in spize 'Speise' und gezegenet 'gesegnet' (V. 7) indizieren schließlich westl. Einfluss, stehen aber mehreren Varianten mit s-Schreibung gegenüber, z. B. ghesegenet 'gesegnet' (V. 3).
Hochdeutsch
Hd. sind zum einen die auf Liquid ausgehende Variante dir (V. 4) für das Personalpronomen der 2. Sg. Dat. und zum anderen die hyperkorrigierten Formen datz 'dass' (V. 7) und etzen 'Essen' (V. 8) mit tz-Graphie anstelle des nd. Verschlusslautes /t/ und des hd. stimmlosen Reibelautes /s/ sowie die Hybridvarianten hetz 'heiß' (V. 7) und och 'auch' (V. 9) mit nd. Vokalqualität und hd. Konsonaten im Auslaut (vgl. nd. het, ok und hd. heiz, ouch bzw. auch). Bei der Schreibung <tz> in hetz handelt es sich zudem auch um eine Hyperkorrektur wie im Falle von datz und hetz.
Bemerkenswert ist, dass mit Ausnahme von dir alle hd. geprägten Formen in der zweiten Strophe vorkommen, d. h. die hyperkorrigierten und hybriden Varianten sind ausnahmslos in dieser Strophe belegt.
Liste der Kennformen
V. 2 | vns | 'uns' | Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4) |
V. 4 | dir | 'dir' | Hochdeutsch |
V. 5 | vns | 'uns' | Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4) |
V. 6 | vns | 'uns' | Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4) |
V. 7 | datz | 'dass' | Hyperkorrekte Form |
V. 7 | hetz | 'heiß' (veranlasse) | Hybridform, Hyperkorrekte Form |
V. 7 | spize | 'Speise' | Frühmittelniederdeutsch, Westen (Peters 1.4.6.) |
V. 7 | gezegenet | 'gesegnet' | Frühmittelniederdeutsch, Westen (Peters 1.4.6.) |
V. 8 | etzen | 'Essen' | Hyperkorrekte Form |
V. 8 | vns | 'uns' | Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4) |
V. 9 | och | 'auch' | Hybridform |
V. 10 | gode | 'Gott' | Ostfälisch, Westfälisch (Peters 1.2.2.) |
V. 11 | ouer | 'über' | Ostfälisch, Westfälisch (Peters 1.2.2.) |
V. 11 | vns | 'uns' | Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4) |
V. 12 | geloüet | 'gelobt' | Ostfälisch, Westfälisch (Peters 1.2.2.) |
V. 13 | ouersten | 'obersten' | Ostfälisch, Westfälisch (Peters 1.2.2.) |
V. 14 | loue | 'loben' | Ostfälisch, Westfälisch (Peters 1.2.2.) |
V. 15 | hemmelrik | 'Himmelreich' | Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 1.2.3.) |
V. 15 | ouersten | 'obersten' | Ostfälisch, Westfälisch (Peters 1.2.2.) |
V. 16 | vns | 'uns' | Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4) |
V. 17 | drevaldighe | 'dreifaltige' | Elbostfälisch, Geldrisch-Kleverländisch, Südwestfälisch (Peters 1.1.2.) |
Einspielungen
RLB 9: Almechtigher got here ihesu crist
Ensemble Wendelin Mueller-Blattau: Goldene Lieder des Mittelalters
Parallelüberlieferung
Der sog. Tischsegen des Mönchs von Salzburg (Spechtler G 42) war im hochdeutschen Raum weit verbreitet.
Wir geben eine Auswahl der Überlieferung:
- Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Mus. ms. 40 613 (Lochamer Liederbuch), S. 32
- Praha, Knihovna Národního Muzea: Cod. X A 12 (Liederbuch der Klara Hätzlerin), Bl. 329v
- Wien, Österreichische Nationalbibliothek: Cod. 2856 (Mondsee-Wiener Liederhandschrift), Bl. 189v
Literatur
B[olte], J[ohannes]: Rezension zu: Rostocker Niederdeutsches Liederbuch vom Jahre 1478, hsg. von Bruno Claussen, mit einer Auswahl der Melodien bearbeitet von Albert Thierfelder. Rostock, C. Hinstorff 1919. In: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde. 30–32. 1920–1922. S. 28.
Classen, Albrecht: Deutsche Liederbücher des 15. und 16. Jahrhunderts. Münster [u.a.] 2001 (= Volksliedstudien. 1). S. 270–271.
Claussen, Bruno: Über den Fund eines niederdeutschen Liederbuchs aus dem Ende des 15. Jahrh. in Rostock. In: Korrespondenzblatt des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. 35. 1915. 2/3. S. 18–24, hier: S. 21.
Claussen, Bruno (Hrsg.): Rostocker niederdeutsches Liederbuch vom Jahre 1478. Herausgegeben von Bruno Claussen mit einer Auswahl der Melodien bearbeitet von Albert Thierfelder. Buchschmuck von Thuro Balzer. Rostock 1919. S. VII–VIII, 21–22, 77 A. 9.
Daebeler, Hans Jürgen: Musiker und Musikpflege in Rostock von der Stadtgründung bis 1700. Dissertation der Hohen Philosophischen Fakultät der Universität Rostock. Rostock 1966. S. 181–182.
Heydeck, Kurt: Die mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Rostock. Beschrieben von Kurt Heydeck. Wiesbaden 2001 (= Kataloge der Universitätsbibliothek Rostock. Erster Band: Die mittelalterlichen Handschriften). S. 130, 435.
Holtorf, Arne: 'Rostocker Liederbuch'. In: Ruh, Kurt / Wachinger, Burghart (Hrsg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Begründet von Wolfgang Stammler, fortgeführt von Karl Langosch. Unter Mitarbeit zahlreicher Fachgelehrter herausgegeben von Kurt Ruh zusammen mit Gundolf Keil, Werner Schröder, Burghart Wachinger, Franz Josef Worstbrock. 2., völlig neu bearb. Aufl. Berlin / New York 1978–2008. Bd. 8. Sp. 253–257, hier: Sp. 254–255.
Holznagel, Franz-Josef: Das 'Rostocker Liederbuch' und seine neue kritische Edition. Unter Mitarbeit von Andreas Bieberstedt, Udo Kühne und Hartmut Möller. In: Niederdeutsches Jahrbuch. 133. 2010. S. 45–86, hier: S. 55, 58 A. 48, 60 A. 56, 62.
Holznagel, Franz-Josef: Rostocker Liederbuch. In: Kühlmann, Wilhelm (Hrsg.): Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. 2., vollst. überarb. Aufl. Berlin / Boston 2008–2102. Band 10. 2011. S. 35–36, hier: S. 35–36.
Holznagel, Franz-Josef: Songs and Identities. Handwritten Secular Songbooks in German-Speaking Areas of the Fifteenth and Sixteenth Centuries. In: Poel, Dieuwke van der / Grijp, Louis Peter / Anrooij, Wim van (Hrsg.): Identity, Intertextuality, and Performance in Early Modern Song Culture. Leiden, Boston 2016 (= Intersections. 43). S. 118-149, hier: S. 132-133.
Kornrumpf, Gisela: Ave pulcherrima regina. Zur Verbreitung und Herkunft der Melodie einer Marien-Cantio im Rostocker Liederbuch. In: Heller, Karl / Möller, Hartmut / Waczkat, Andreas (Hrsg.): Musik in Mecklenburg. Beiträge eines Kolloquiums zur mecklenburgischen Musikgeschichte veranstaltet vom Institut für Musikwissenschaft der Universität Rostock, 24.–27. September 1997. Mit einer Zeittafel und einer Auswahlbibliographie zur mecklenburgischen Musikgeschichte. Hildesheim / Zürich / New York 2000. S. 157–172, hier: S. 161, 171 A. 56.
Lietz, Hanno (Hrsg.): Bruno Claussen an der Universitätsbibliothek Rostock. 1912–1949. Rostock 1995 (= Veröffentlichungen der Universitätsbibliothek Rostock. 121). S. 57.
Müller-Blattau, Joseph M.: Das deutsche Volkslied. Berlin-Schöneberg 1932 (= Max Hesses Handbücher. 34). S. 28, 40–41.
Petzsch, Christoph: Zur Vorgeschichte der Stammbücher. Nachschriften und Namen im Königsteiner Liederbuch. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. 222. 1985. S. 273–292, hier: S. 279.
Ranke, Friedrich / Müller-Blattau, Joseph M. (Hrsg.): Das Rostocker Liederbuch nach den Fragmenten der Handschrift neu herausgegeben von Friedrich Ranke und J. M. Müller-Blattau. Halle (Saale) 1927 (= Schriften der Königsberger Gelehrten Gesellschaft. Geisteswissenschaftliche Klasse. 4. Jahr. Heft 5), S. 196–200, 205, 229, 281.
Salmen, Walter: Das deutsche Tenorlied bis zum Lochamer Liederbuch. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der philosophischen und naturwissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Landes-Universität zu Münster. Münster 1949. S. 45, 64.
Salmen, Walter / Petzsch, Christoph (Hrsg.): Das Lochamer-Liederbuch. Einführung und Bearbeitung der Melodien von Walter Salmen. Einleitung und Bearbeitung der Texte von Christoph Petzsch. Wiesbaden 1972 (= Denkmäler der Tonkunst in Bayern. NF. Sonderband. 2). S. 99.
Salmen, Walter: 'Rostocker Liederbuch'. In: Finscher, Ludwig (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik. Begründet von Friedrich Blume. Herausgegeben von Ludwig Finscher. 2. neubearb. Aufl. Kassel [u.a.] 1994–2008. Sachteil, Bd. 8. Sp. 564–565, hier: Sp. 564.
Salmen, Walter: Das 'Rostocker Liederbuch'. Eine Standortbestimmung. In: Heller, Karl / Möller, Hartmut / Waczkat, Andreas (Hrsg.): Musik in Mecklenburg. Beiträge eines Kolloquiums zur mecklenburgischen Musikgeschichte veranstaltet vom Institut für Musikwissenschaft der Universität Rostock, 24.–27. September 1997. Mit einer Zeittafel und einer Auswahlbibliographie zur mecklenburgischen Musikgeschichte. Hildesheim / Zürich / New York 2000. S. 109–128, hier: S. 112.
Schnitzler, Elisabeth: Das geistige und religiöse Leben Rostocks am Ausgang des Mittelalters. Berlin 1940 (= Historische Studien. 360). S. 42 A. 62.
Spechtler, Franz Viktor (Hrsg.): Die geistlichen Lieder des Mönchs von Salzburg. Berlin / New York 1972 (= Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker. N.F. 51 (157)). S. 85, 327–328, 331–332.
Spiewok, Wolfgang: Das "Rostocker Liederbuch". In: Almanach für Kunst und Kultur im Ostseebezirk. 9. 1986. S. 65–70, hier: S. 65–66.
Spiewok, Wolfgang: Das Rostocker Liederbuch. In: Spiewok, Wolfgang / Buschinger, Danielle (Hrsg.): Mittelalter-Studien II. Göppingen 1989. S. 310–321, hier: S. 312.
Spiewok, Wolfgang: Das "Rostocker Liederbuch". Beispiel für eine spätmittelalterliche Liedersammlung. In: Spiewok, Wolfgang (Hrsg.): Geschichte der deutschen Literatur des Spätmittelalters. II. Band. Die lyrische Literatur des Spätmittelalters. Das Drama des Spätmittelalters. Greifswald 1998. S. 56–58, hier: S. 57.
Spiewok, Wolfgang: Das Rostocker Liederbuch. In: Spiewok, Wolfgang (Hrsg.): Mittelalterliche Literatur up plattdütsch. Greifswald 1998. S. 65–75, hier: S. 65, 67.
Touber, Anthonius H.: Deutsche Strophenformen des Mittelalters. Stuttgart 1975 (= Repertorien zur deutschen Literaturgeschichte. 6). S. 39.
Wiegandt, Jochen (Hrsg.): Kennt ji all dat niege Leed? Liederbuch für Mecklenburg-Vorpommern. Hamburg 2003. S. 341.