"[... so were myn heyl] / En frowelin de ik meyne"

Textinformationen

Nummer im RLB: 35 (Claussen: 29)

Blattnummer: 28v

Texttyp: Register I – Werbelied (1.3.1)

Inhalt: Spätmittelalterliche Variante des Werbeliedes und Frauenpreis, bei dem die Beteuerung der Dienstergebenheit mit der Hoffnung auf Entgegenkommen verbunden wird.

Schreiberhand: 1; Hauptschreiber, Kursive

Autor: Keine Autorinformationen vorhanden.

Melodieaufzeichnung: Keine Melodie überliefert.

Notationstyp:

Textabdruck

Ranke/Müller-Blattau (1927) – S. 253 [61]f.

[ . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . ]
[ſo were myn heyl
al ſun]der feyl
van vrowden gheil.

En frowelin de ik meyne,
de ſwor by erer truwen:
wolde ik er ſtede denen,
dat ſulde myr nicht ruwen
myn leuent lanck.
dat is myn ſanck
en vrowelyn danck.

Lat varen al myn truren,
myn ſorghe nemen ende.
wolde ſe my ewich denen
vnd nummer van mir wenden
to deſſem mey,
so wer myn gheſch<rey>:
vchhey, vchhey!

Se iſt myn troſt, myn hopen,
dar to myn morghen ſterne.
ſe hat myn herte ghedropen,
by er ſo wer ik gherne.
Id moet gheſchen,
ſe is allen
myn enych en.

Er dener wil ik ſteruen,
ſe wont mir an dem hertzen.
ken ander wil ik weruen
in ſchympe noch in ſchertze.
ghedencke des, frowe,
wyff ghetruw<e>,
vor driff vnrowe.

Claussen (1919) – S. 51f.

[......................................]
[......................................]
[......................................]
[......................................]
Se wer myn heyl
De ſunder feyl
Van vrowden gheil.
Ene frowelin de ik meyne,
De ſwert by erer truwen,
Wolde ik er ſtede deinen,
Dat ſcolde myr nicht ruwen
Myn levent lanck,
Dat is myn ſanck
En vrowelyn danck.

Lat varen al myn truren,
Myn ſorghe nemen ende,
Wolde ſe my ewich denen
Unde nummer van mir wenden,
To deſſen mey
So wer myn gheſchrey:
Uchhey, uchhey!

Se is myn troſt myn hopen,
Dar to myn morghen ſterne,
Se hat myn herte ghedropen,
By er ſo wer ik gherne.
Jd moet gheſchen,
Se is allen
Myn enych en.

Er dener wil ik ſterven,
Se wont mir an dem hertzen,
Ken ander wil ik werven,
Jn ſchympen noch in ſchertzen.
Ghedencke des frowe,
Wyß ghetruwe,
Vor driff unrowe.

Sprachstand

H/N

Der Sprachstand von RLB 35 ist mittelniederdeutsch. Sehr vereinzelt kommen Kennformen niederdeutscher räumlicher Varietäten vor. Bestimmte Formen werden hochdeutsch realisiert.

Niederdeutsche Kennformen

Ein Hinweis auf westnd. Einfluss liegt mit der Graphie <o> zur schriftlichen Realisierung des tonlagen o vor, und zwar in den Formen hopen 'Hoffen' (V. 22) und gedropen 'getroffen' (V. 24). Hingegen handelt es sich bei der Variante my 'mir' (V. 17) um eine Kennform der nordnd., südm. und westf. Gebiete.

Hochdeutsch

Auf hd. Prägung des Sprachstandes verweisen die Variante frowelin/vrowelyn 'Fräulein' (V. 8, 14) mit hd. Diminutivsuffix -lin, die Pronominalvariante mir 'mir' (V. 18, 30) mit Liquid r im Auslaut, die Graphie <tz> für die hd. Affrikata /ts/ in hertzen 'Herzen' (V. 30) und schertze 'Scherz' (V. 32) sowie die finiten Verbformen ist 'ist' (V. 22) und hat 'hat' (V. 24). Daneben belegen zwei hd.-nd. Mischformen den Einfluss des Hd. Gemeint ist zum einen das Personalpronomen myr 'mir' in Vers 11, das als Dativform in Akkusativposition steht und damit die Wirkung des typisch nd. pronominalen Einheitskasus anzeigt, und zum anderen das Indefinitpronomen ken 'kein' (V. 31), dessen Anlaut der hd. Form kein entspricht, während der durch die Schreibung <e> angedeutete Stammvokal mit der nd. Form nên korrespondiert.

Liste der Kennformen

V. 8 frowelin 'Fräulein' Hochdeutsch
V. 11 myr 'mir' Hybridform
V. 14 vrowelyn 'Fräulein' Hochdeutsch
V. 17 my 'mir' Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4)
V. 18 mir 'mir' Hochdeutsch
V. 19 dessem 'diesem' Nordniederdeutsch, Nordwestfälisch (Peters 4.5.4.1.)
V. 22 ist 'ist' Hochdeutsch (Peters 2.1.10.3.)
V. 22 hopen 'Hoffen' Ostfälisch, Westfälisch (Peters 1.2.2.)
V. 24 hat 'hat' Hochdeutsch
V. 24 gedropen 'getroffen' Ostfälisch, Westfälisch (Peters 1.2.2.)
V. 30 mir 'mir' Hochdeutsch
V. 30 hertzen 'Herzen' Hochdeutsch
V. 31 ken 'kein' Hybridform
V. 32 schertze 'Scherz' Hochdeutsch

Einspielungen

Keine Einspielungen vorhanden.

Parallelüberlieferung

Keine Parallelüberlieferung bekannt.

Literatur

Beckers, Hartmut: Mittelniederdeutsche Literatur. Versuch einer Bestandsaufnahme (III). In: Niederdeutsches Wort. 19. 1979. S. 1–28, hier: S. 11.

Classen, Albrecht: Deutsche Liederbücher des 15. und 16. Jahrhunderts. Münster [u.a.] 2001 (= Volksliedstudien. 1). S. 274.

Claussen, Bruno: Über den Fund eines niederdeutschen Liederbuchs aus dem Ende des 15. Jahrh. in Rostock. In: Korrespondenzblatt des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. 35. 1915. 2/3. S. 18–24, hier: S. 24.

Claussen, Bruno (Hrsg.): Rostocker niederdeutsches Liederbuch vom Jahre 1478. Herausgegeben von Bruno Claussen mit einer Auswahl der Melodien bearbeitet von Albert Thierfelder. Buchschmuck von Thuro Balzer. Rostock 1919. S. 51–52.

Daebeler, Hans Jürgen: Musiker und Musikpflege in Rostock von der Stadtgründung bis 1700. Dissertation der Hohen Philosophischen Fakultät der Universität Rostock. Rostock 1966. S. 182.

Heydeck, Kurt: Die mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Rostock. Beschrieben von Kurt Heydeck. Wiesbaden 2001 (= Kataloge der Universitätsbibliothek Rostock. Erster Band: Die mittelalterlichen Handschriften). S. 131.

Holznagel, Franz-Josef: Das 'Rostocker Liederbuch' und seine neue kritische Edition. Unter Mitarbeit von Andreas Bieberstedt, Udo Kühne und Hartmut Möller. In: Niederdeutsches Jahrbuch. 133. 2010. S. 45–86, hier: S. 54, 55 A. 35.

Holznagel, Franz-Josef: Rostocker Liederbuch. In: Kühlmann, Wilhelm (Hrsg.): Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. 2., vollst. überarb. Aufl. Berlin / Boston 2008–2102. Band 10. 2011. S. 35–36, hier: S. 35–36.

Holznagel, Franz-Josef: Songs and Identities. Handwritten Secular Songbooks in German-Speaking Areas of the Fifteenth and Sixteenth Centuries. In: Poel, Dieuwke van der / Grijp, Louis Peter / Anrooij, Wim van (Hrsg.): Identity, Intertextuality, and Performance in Early Modern Song Culture. Leiden, Boston 2016 (= Intersections. 43). S. 118-149, hier: S. 133.

Lang, Margarete (Hrsg.): Ostdeutscher Minnesang. Auswahl und Übertragung von Margarete Lang. Melodien herausgegeben von Walter Salmen. Lindau / Konstanz 1958 (= Schriften des Kopernikuskreises. 3). S. 76–77, 124.

Lietz, Hanno (Hrsg.): Bruno Claussen an der Universitätsbibliothek Rostock. 1912–1949. Rostock 1995 (= Veröffentlichungen der Universitätsbibliothek Rostock. 121). S. 57.

Möller, Hartmut: Das Rostocker Liederbuch. Aktuelle Perspektiven der Forschung. In: Ochs, Ekkehard (Hrsg.): Studien zur lokalen und territorialen Musikgeschichte Mecklenburgs und Pommerns. Im Auftrag des Landesmusikrates Mecklenburg-Vorpommern e.V. herausgegeben von Ekkehard Ochs. II. Greifswald 2002. Bd. 2. S. 107–111, hier: S. 110.

Ranke, Friedrich / Müller-Blattau, Joseph M. (Hrsg.): Das Rostocker Liederbuch nach den Fragmenten der Handschrift neu herausgegeben von Friedrich Ranke und J. M. Müller-Blattau. Halle (Saale) 1927 (= Schriften der Königsberger Gelehrten Gesellschaft. Geisteswissenschaftliche Klasse. 4. Jahr. Heft 5), S. 195, 197–200, 253–254, 285.

Rieschel, Hanspeter: Die alten niederdeutschen Lieder des Rostocker Liederbuches. In: Deutsche Musikkultur. 3. 1938/1939. S. 472–477, hier: S. 475.

Salmen, Walter: Das 'Rostocker Liederbuch'. Eine Standortbestimmung. In: Heller, Karl / Möller, Hartmut / Waczkat, Andreas (Hrsg.): Musik in Mecklenburg. Beiträge eines Kolloquiums zur mecklenburgischen Musikgeschichte veranstaltet vom Institut für Musikwissenschaft der Universität Rostock, 24.–27. September 1997. Mit einer Zeittafel und einer Auswahlbibliographie zur mecklenburgischen Musikgeschichte. Hildesheim / Zürich / New York 2000. S. 109–128, hier: S. 118, 123.

Touber, Anthonius H.: Deutsche Strophenformen des Mittelalters. Stuttgart 1975 (= Repertorien zur deutschen Literaturgeschichte. 6). S. 39.