"Elendicheyt yst myn kumpan"
Textinformationen
Nummer im RLB: 29
Blattnummer: 26r
Texttyp: Nichtsangliche Texte – Reimpaarspruch (2.2)
Inhalt: Sprichwortartige Reimpaarsprüche zwischen 4 und 8 Zeilen, die moraldidaktische Themen verhandeln: Klage über das unangenehme Leben in der Fremde (RLB 29) sowie über Armut und Mangelerfahrung (RLB 31); Reflexion über Verstellung, Lüge, Selbsterkenntnis (RLB 30). RLB 30 ist deutlich von Freidanks "Bescheidenheit" angeregt worden.
Schreiberhand: 1; Hauptschreiber, Kursive
Autor: Keine Autorinformationen vorhanden.
Melodieaufzeichnung: Keine Melodie überliefert.
Notationstyp: –
Textabdruck
Ranke/Müller-Blattau (1927) – S. 250 [58]
Elendicheyt yſt myn kumpan,
Des moet ich dicke alleyne ghan.
Elendicheyt der byn ich wys,
Wor vrund mit vrunde frolich ys.
Claussen (1919) – S. 75
Elendicheyt yſt myn kumpan,
Des moet ich dicke alleyne ghan.
Elendicheyt der byn ich wys,
Wor vrund mit vrunde vrolich ys.
Sprachstand
H/N
Der Sprachstand von Nr. 29 ist mittelniederdeutsch und enthält überdies einige hochdeutsche Varianten.
Mit Wor 'wo' enthält der Text eine nordnd. Kennform. Die hd. Beeinflussung von RLB 29 belegen die Varianten yst 'ist' und ich 'ich'.
Bemerkenswert ist die Form dicke. Sie war in frühmnd. Zeit die gebräuchlichste Variante für das Adverb 'oft'. Nach der Mitte des 15. Jahrhunderts – zur Zeit der Niederschrift des Textes also – hatte sich jedoch längst die Variante vaken als Hauptform durchgesetzt. Möglich ist, dass die Variante dicke einen Hinweis auf das Alter des Textes gibt, wobei zu bedenken ist, dass sie auch im 15. Jahrhundert nicht gänzlich durch vaken verdrängt werden konnte. Mit Rücksicht auf die erwähnten hd. Varianten, könnte dicke zudem auch als mhd. bzw. frnhd. Form verstanden werden.
Liste der Kennformen
V. 1 | yst | 'ist' | Hochdeutsch (Peters 2.1.10.3.) |
V. 2 | dicke | 'oft' | Frühmittelniederdeutsche Hauptform (Peters 4.6.3.12.), Hochdeutsch |
V. 2 | ich | 'ich' | Hochdeutsch |
V. 3 | ich | 'ich' | Hochdeutsch |
V. 4 | Wor | 'wo' | Nordniederdeutsch (Peters 4.6.1.1.) |
Einspielungen
Keine Einspielungen vorhanden.
Parallelüberlieferung
Keine Parallelüberlieferung bekannt.
Literatur
Classen, Albrecht: Deutsche Liederbücher des 15. und 16. Jahrhunderts. Münster [u.a.] 2001 (= Volksliedstudien. 1). S. 273.
Claussen, Bruno: Über den Fund eines niederdeutschen Liederbuchs aus dem Ende des 15. Jahrh. in Rostock. In: Korrespondenzblatt des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. 35. 1915. 2/3. S. 18–24, hier: S. 22.
Claussen, Bruno (Hrsg.): Rostocker niederdeutsches Liederbuch vom Jahre 1478. Herausgegeben von Bruno Claussen mit einer Auswahl der Melodien bearbeitet von Albert Thierfelder. Buchschmuck von Thuro Balzer. Rostock 1919. S. VIII.
Daebeler, Hans Jürgen: Musiker und Musikpflege in Rostock von der Stadtgründung bis 1700. Dissertation der Hohen Philosophischen Fakultät der Universität Rostock. Rostock 1966. S. 182.
Heydeck, Kurt: Die mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Rostock. Beschrieben von Kurt Heydeck. Wiesbaden 2001 (= Kataloge der Universitätsbibliothek Rostock. Erster Band: Die mittelalterlichen Handschriften). S. 130, 440.
Holznagel, Franz-Josef: Das 'Rostocker Liederbuch' und seine neue kritische Edition. Unter Mitarbeit von Andreas Bieberstedt, Udo Kühne und Hartmut Möller. In: Niederdeutsches Jahrbuch. 133. 2010. S. 45–86, hier: S. 49 A. 14, 53 A. 27, 54, 57 A. 47.
Holznagel, Franz-Josef: Rostocker Liederbuch. In: Kühlmann, Wilhelm (Hrsg.): Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. 2., vollst. überarb. Aufl. Berlin / Boston 2008–2102. Band 10. 2011. S. 35–36, hier: S. 35–36.
Lietz, Hanno (Hrsg.): Bruno Claussen an der Universitätsbibliothek Rostock. 1912–1949. Rostock 1995 (= Veröffentlichungen der Universitätsbibliothek Rostock. 121). S. 57.
Ranke, Friedrich / Müller-Blattau, Joseph M. (Hrsg.): Das Rostocker Liederbuch nach den Fragmenten der Handschrift neu herausgegeben von Friedrich Ranke und J. M. Müller-Blattau. Halle (Saale) 1927 (= Schriften der Königsberger Gelehrten Gesellschaft. Geisteswissenschaftliche Klasse. 4. Jahr. Heft 5), S. 195–196, 198–200, 250, 284.
Touber, Anthonius H.: Deutsche Strophenformen des Mittelalters. Stuttgart 1975 (= Repertorien zur deutschen Literaturgeschichte. 6). S. 39.