"Arnd uth der mole qwam"

Textinformationen

Nummer im RLB: 26 (Claussen: 24)

Blattnummer: 24r/v

Texttyp: Register III – Schwanklied (1.4.2)

Inhalt: Schwanklied von dem Müller Arnd, der bei seiner Frau den Pfaffen in verfänglicher Situation antrifft. Als er im Begriff ist, den Geistlichen zu verprügeln, lässt er sich davon durch seine Frau abhalten. Sie droht ihm, der Papst würde ihn bannen, wenn er seinen Herren schlüge, und außerdem kündigt sie an, sie würde sich ihm künftig verweigern, wenn er im Zustand der Sünde verbliebe. Arnd bittet darauf den Pfaffen um Ablass; dieser wird ihm gewährt, aber nicht ohne dass ihm erläutert wird, der Geistliche hätte der Ehefrau ohnehin nur das "Credo" lehren wollen, denn das "Ave salus" könne sie schon längst.

Schreiberhand: 1; Hauptschreiber, Kursive

Autor: Keine Autorinformationen vorhanden.

Melodieaufzeichnung: Keine Melodie überliefert.

Notationstyp:

Textabdruck

Ranke/Müller-Blattau (1927) – S. 246 [54]f.

ltem.

Arnd uth der mole qwam,
em was ernſt to mode.
wo ſer dat he begherde
van ſynem groten ghude.
dat qwam van ſulken ſaken:
her arnd qwam to mate.
he vant den papen by ſynem wiue
ligghen vnd driuen ſpyl.
wol her arnt, wol!
ſo langhe alze her arnt wyl,
ſo vart fyn vrowe wol.

Arnd de nam enen ſtock,
he lep in de camere.
he vant den papen by ſynem wiue
liggen dar to gadere.
he nam en by den haren:
'wol up gy droghenere,
wat do gi hir bi mynem wiue?
dat dede ik ſuluen wol.'
wol her arnd, wol etc.

"Arnd vnghevallighe man,
gy ſolet bate keren.
gy ſint in des pawes ban:
gy ſloghen iwen heren.
latet iw abſolueren
van ſunden de gy deden,
efft gy ſlapen in mynem arm
van deſſem iar nicht mer."
wol her arnd, wol etc.

Arnd vel up ſyne kne,
he bat vmme gnade:
'dat ik iw gheſlaghen han,
dat qwam van valſchem rade.
wolde gi my dat vor gheuen,
ik dende al myn leuen.
vǔnde ik iw mer by mynem wiue,
ik gundes iw werliken wol.'
wol her arnd, wol etc.

He nam dat bok in ſyne hant,
he ſanck permiſſionem:
"dat ik hir ghekomen byn,
dat is mit iwem fromen.
jw frowe heft mir ghebeden
leren er den creden,
men er aue ſalus
dat kan ſe ſuluen wol."
wol her arnd, wol etc.

Claussen (1919) – S. 42–44

Arnd uth der mole quam,
Em was cruſe to mode,
Wo ſer dat he begherde
Van ſynem groten ghude,
Dat quam van ſulken ſaken her,
Arnd quam to mate,
He vant den papen by ſynem wive
Ligghen vnde driven ſpyl.
   Wol, her arnt, wol
   So langhe alze her arnt wyl,
   So vart ſyn vrowe wol.

Arnd de nem enen ſtock,
He lep in de camere,
He vant den papen by ſynem wive
Liggen da to gamere.
He nam en by den haren,
"Wol up, gy droghenere,
Wat do gi hir by mynem wive,
Dat dede ik ſulven wol."
   Wol, her arnd, wol etc.

"Arnd, unghevallighe man,
Gy ſolet bate keren,
Gy ſynt in des pawes ban,
Gy ſlaghen iuwen heren,
Latet iuw abſolveren
Van ſunden, de gy deden,
Efft gy ſlapen in mynem arm
Van deſſen iar nicht mer."
   Wol, her arnd, wol etc.

Arnd vel up ſyne kne,
He bat umme gnade:
"Dat ik iuw gheſlagen han,
Dat quam van valſchem rade,
Wolde gi my dat vorgheven,
Jk dende al myn leven,
Vünde ik iuw mer by mynem wive,
Jk gundes iuw werliken wol."
   Wol, her arnd, wol etc.

He nam dat bok in ſyne hant,
He ſanck permiſſionem,
Dat ik hir ghekomen byn,
Dat is mit iuwen fromen.
Juw frowe heft mir ghebeden
Leren er den creden,
Men er ave ſalus
Dat kan ſe ſulven wol.
   Wol, her and, wol etc.

Sprachstand

H/N

RLB 26 hat einen mittelniederdeutschen Sprachstand. Gemessen an der Gesamtzahl der Kennformen enthält das Lied jedoch kaum Varianten, die sich einer bestimmten mnd. Varietät zuordnen lassen. Nur das nordnd. wo 'wie' (V. 3) und das westf. solet 'sollt' (V. 22) sind hiervon auszunehmen. Überdies kommen zwei hochdeutsch beeinflusste Formen vor.

Charakteristisch für die westnd. Mundarten der mnd. Periode ist der verbale Einheitsplural im Indikativ Präsens mit der Endung -et, der in RLB 26 mit der Form solet 'sollt' (V. 22) vertreten ist. Ein weiteres, auf das Westnd., resp. Ostf. und Westf. weisende Merkmal ist die o-Graphie für das gedehnte o in offener Tonsilbe, und zwar in den Formen ghekomen 'gekommen' (V. 41) und fromen 'Frommen, Nutzen' (V. 42).

Die zahlreich im Text vorkommende Form wol 'wohl' war im Ostf. und Nordnd. gebräuchlich. Dasselbe gilt für die Variante suluen 'selber' (V. 19, 46).

Noch größer ist das Verwendungsgebiet der Pronominalvarianten iwen 'euren' (V. 24, 42), iw 'euch/eure' (V. 25, 32, 36, 37, 43) und my 'mir' (V. 34), die auf der Basis des Dativs realisiert wurden, wie im Nordnd., Südm. und Westf. üblich.

Aus dem hd. stammt die Variante han '(ich) habe' (V. 32). Auch bei mir (V. 43) handelt es sich formal um eine hd. Form. Mithin widerspricht ihre Verwendung in Akkusativstellung der frühneuhochdeutschen Grammatik, weshalb mir genau genommen als hyperkorrekte Bildung bezeichnet werden muss.

Liste der Kennformen

V. 3 wo 'wie' Nordniederdeutsch (Peters 4.6.1.3.)
V. 9 wol 'wohl' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.6.4.4.)
V. 9 wol 'wohl' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.6.4.4.)
V. 11 wol 'wohl' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.6.4.4.)
V. 17 wol 'wohl' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.6.4.4.)
V. 19 suluen 'selber' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.5.4.4.)
V. 19 wol 'wohl' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.6.4.4.)
V. 20 wol 'wohl' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.6.4.4.)
V. 20 wol 'wohl' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.6.4.4.)
V. 22 solet 'sollt' Westfälisch (Peters 2.1.9.3.)
V. 22 solet 'sollt' Westniederdeutsch (Peters 2.1.1.)
V. 24 iwen 'euren' Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4)
V. 25 iw 'euch' Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4)
V. 28 dessem 'diesem' Nordniederdeutsch, Nordwestfälisch (Peters 4.5.4.1.)
V. 29 wol 'wohl' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.6.4.4.)
V. 29 wol 'wohl' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.6.4.4.)
V. 32 iw 'euch' Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4)
V. 32 han 'habe' Hochdeutsch
V. 34 my 'mir' Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4)
V. 36 iw 'euch' Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4)
V. 37 iw 'euch' Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4)
V. 38 wol 'wohl' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.6.4.4.)
V. 38 wol 'wohl' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.6.4.4.)
V. 41 ghekomen 'gekommen' Ostfälisch, Westfälisch (Peters 1.2.2.)
V. 42 iwem 'eurem' Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4)
V. 42 fromen 'Frommen' (Nutzen) Ostfälisch, Westfälisch (Peters 1.2.2.)
V. 43 jw 'eure' Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4)
V. 43 mir 'mir' Hyperkorrekte Form
V. 46 suluen 'selber' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.5.4.4.)
V. 46 wol 'wohl' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.6.4.4.)
V. 47 wol 'wohl' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.6.4.4.)
V. 47 wol 'wohl' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.6.4.4.)
       
       
       

Einspielungen

Keine Einspielungen vorhanden.

Parallelüberlieferung

Keine Parallelüberlieferung bekannt.

Literatur

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Spiewok, Wolfgang: Das "Rostocker Liederbuch". Beispiel für eine spätmittelalterliche Liedersammlung. In: Spiewok, Wolfgang (Hrsg.): Geschichte der deutschen Literatur des Spätmittelalters. II. Band. Die lyrische Literatur des Spätmittelalters. Das Drama des Spätmittelalters. Greifswald 1998. S. 56–58, hier: S. 57–58.

Spiewok, Wolfgang: Das Rostocker Liederbuch. In: Spiewok, Wolfgang (Hrsg.): Mittelalterliche Literatur up plattdütsch. Greifswald 1998. S. 65–75, hier: S. 71–72.

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