"Mennich gud gheselle vor teret sin gud"
Textinformationen
Nummer im RLB: 23 (Claussen: 22)
Blattnummer: 22r/v
Texttyp: Register III – Absagelied (1.4.5)
Inhalt: Absagelied, in dem der nicht gelohnte Minnedienst mit Acker- und Jagdtätigkeiten verglichen wird, die vergeblich sein müssen, wenn die Ausgangsbedingungen zu schlecht sind. Nach der direkten Aufkündigung des Dienstes wendet sich der Blick des Ich-Sprechers auf die allgemeine Festfreude, die durch das gesellige Beisammensein entsteht.
Schreiberhand: 1; Hauptschreiber, Kursive
Autor: Keine Autorinformationen vorhanden.
Melodieaufzeichnung: Keine Melodie überliefert.
Notationstyp: –
Textabdruck
Ranke/Müller-Blattau (1927) – S. 243 [51]f.
ltem.
Mennich gud gheſelle vor teret ſin gud
dorch houeſcher froweken wyllen.
ach leet he in der tijd dar van
vnd ſweghe dar to al ſtille.
We ſynes ackers nicht en ſeget,
dem waſſet ok nen ghetrede.
ſo is mir arme gheſellen gheſchen:
ick iaghe vp wylder heyde.
We vp wylder heyde iaghet,
de mot ſick des vor weghen,
dat he ſick nicht vor dreten late
ſware nette to dreghen.
Sware nette vnde valken grot
de drucken my ſo zere,
ach we des iaghendes nicht en kan,
de ſcalt ſick laten leren.
Me lert dem enen vmme aldus,
dem andern vmme ſyne gaue.
dat is der houeſchen frawken ſede,
[. . . . . . . . . . . .]
Ick dende der frowen en gantz dat iar,
dat hefft ok nü en ende.
ach nü ſpor ik de wedder vart:
ik buwe dat elende.
Dat elende dat is ſo grod,
dat draghe ik huden alleyne.
ik do ſo mennich gud gheſelle doet:
ik frowes mick ynt ghemeyne.
We ſick ynt ghemeyne frowet,
de ſchal ſick des beſynnen:
wor he by den luden is,
dar ſchal he fryſlik ſynghen.
Claussen (1919) – S. 38f.
Mennich gud gheſelle vorteret ſyn gud
Dorch hoveſcher froweken wyllen,
Ach let he in der tijd dar van
Vnde ſweghe dar to al ſtille.
We ſynes ackers nicht en ſeget,
Den waſſet ok nen ghetrede.
So is mi arme gheſellen gheſchen,
Jk iaghe up wylder heyde.
We up wylder heyde iaghet,
De mot ſick des vorweghen,
Dat he ſick nicht vordreten late
Sware nette to dreghen.
Sware nette vnde walken grot
De drucken my ſo zere.
Ach we des iaghendes nicht en kan,
De ſcalt ſick laten leren.
Me lert dem enen vmme aldus
Den andern vmme ſyne gave,
Dat is de hoveſchen frowken ſede,
[Dat men er dende to lave].
Jck dende der frowen en gantz dat iar,
Dat hefft ok nu en ende.
Ach nu ſpor ik de weddervart,
Jk buwe dat elende.
Dat eldende dat is ſo grod,
Dat draghe ik huden alleyne,
Jk do ſo mennich gud gheſelle dot,
Jk frowes mick ynt ghemeyne.
We ſick ynt ghemeyne frowet,
De ſchal ſick des beſynnen,
Wor he by den luden is,
Dar ſchal he fryslick ſynghen.
Sprachstand
H/N
RLB 23 ist mittelniederdeutsch mit vornehmlich westniederdeutscher Merkmalsausprägung. Am Rande zeigen sich hochdeutsche Einflüsse auf den Sprachstand.
Charakteristisch für das Ostf. ist die Variante mick 'mich' (V. 28), die die Geltung des Einheitskasus der Personalpronomen der 1. und 2. Singular Dativ und Akkusativ auf Akkusativbasis anzeigt (vgl. hierzu aber V. 14 my). Die Varianten zere 'sehr' (V. 14), fryslik 'frisch' (munter) (V. 32) und vor allem do(e)t 'tut' (V. 27) indizieren überdies eine westl. bzw. westf. Prägung des Sprachstandes. Nordnd. hingegen ist die Form Wor 'wo' (V. 31).
Daneben kommen einige Kennformen mit überregionaler Geltung vor. So entsprechen nen 'kein' (V. 6) sowie my 'mir' (V. 14) dem lübischen Schreibusus, während wedder 'wieder' (V. 23) in den nordnd. und ostfl. Gebieten gebräuchlich war.
Eindeutig hd. ist die Form des Personalpronomens mir 'mir' (V. 7) mit Liquid im Auslaut. Dagegen ist frawken 'Fräulein' (V. 19) als hd.-nd. hybride Variante anzusprechen. Hier deutet die Diminutivendung -ken auf das Nd., die Graphie <a> hingegen auf hd. Lautstand.
Liste der Kennformen
V. 7 | mir | 'mir' | Hochdeutsch |
V. 14 | my | 'mir' | Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4) |
V. 14 | zere | 'sehr' | Frühmittelniederdeutsch, Westen (Peters 1.4.6.) |
V. 19 | frawken | 'Fräulein' | Hybridform |
V. 23 | wedder | 'wieder' | Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 1.2.3.) |
V. 27 | do(e)t | 'tut' | Westfälisch (Peters 2.1.10.2.) |
V. 28 | frowes | 'freue es' | Ostfälisch, Westfälisch (Peters 1.2.2.) |
V. 28 | mick | 'mich' | Ostfälisch (Peters 2.4.) |
V. 29 | frowet | 'freut' | Ostfälisch, Westfälisch (Peters 1.2.2.) |
V. 31 | wor | 'wo' | Nordniederdeutsch (Peters 4.6.1.1.) |
V. 32 | fryslik | 'frisch' (munter) | Westfälisch (Peters 1.4.7.) |
Einspielungen
Keine Einspielungen vorhanden.
Parallelüberlieferung
Keine Parallelüberlieferung bekannt.
Literatur
Beckers, Hartmut: Mittelniederdeutsche Literatur. Versuch einer Bestandsaufnahme (III). In: Niederdeutsches Wort. 19. 1979. S. 1–28, hier: S. 11.
Classen, Albrecht: Deutsche Liederbücher des 15. und 16. Jahrhunderts. Münster [u.a.] 2001 (= Volksliedstudien. 1). S. 272.
Claussen, Bruno: Über den Fund eines niederdeutschen Liederbuchs aus dem Ende des 15. Jahrh. in Rostock. In: Korrespondenzblatt des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. 35. 1915. 2/3. S. 18–24, hier: S. 23.
Claussen, Bruno (Hrsg.): Rostocker niederdeutsches Liederbuch vom Jahre 1478. Herausgegeben von Bruno Claussen mit einer Auswahl der Melodien bearbeitet von Albert Thierfelder. Buchschmuck von Thuro Balzer. Rostock 1919. S. VIII, 38–39.
Daebeler, Hans Jürgen: Musiker und Musikpflege in Rostock von der Stadtgründung bis 1700. Dissertation der Hohen Philosophischen Fakultät der Universität Rostock. Rostock 1966. S. 182.
Heydeck, Kurt: Die mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Rostock. Beschrieben von Kurt Heydeck. Wiesbaden 2001 (= Kataloge der Universitätsbibliothek Rostock. Erster Band: Die mittelalterlichen Handschriften). S. 130, 445.
Holznagel, Franz-Josef: Rostocker Liederbuch. In: Kühlmann, Wilhelm (Hrsg.): Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. 2., vollst. überarb. Aufl. Berlin / Boston 2008–2102. Band 10. 2011. S. 35–36, hier: S. 35–36.
Lang, Margarete (Hrsg.): Ostdeutscher Minnesang. Auswahl und Übertragung von Margarete Lang. Melodien herausgegeben von Walter Salmen. Lindau / Konstanz 1958 (= Schriften des Kopernikuskreises. 3). S. 18–19, 80–81, 124
Lietz, Hanno (Hrsg.): Bruno Claussen an der Universitätsbibliothek Rostock. 1912–1949. Rostock 1995 (= Veröffentlichungen der Universitätsbibliothek Rostock. 121). S. 57.
Möller, Hartmut: Das Rostocker Liederbuch. Aktuelle Perspektiven der Forschung. In: Ochs, Ekkehard (Hrsg.): Studien zur lokalen und territorialen Musikgeschichte Mecklenburgs und Pommerns. Im Auftrag des Landesmusikrates Mecklenburg-Vorpommern e.V. herausgegeben von Ekkehard Ochs. II. Greifswald 2002. Bd. 2. S. 107–111, hier: S. 110.
Rieschel, Hanspeter: Die alten niederdeutschen Lieder des Rostocker Liederbuches. In: Deutsche Musikkultur. 3. 1938/1939. S. 472–477, hier: S. 476.
Ranke, Friedrich / Müller-Blattau, Joseph M. (Hrsg.): Das Rostocker Liederbuch nach den Fragmenten der Handschrift neu herausgegeben von Friedrich Ranke und J. M. Müller-Blattau. Halle (Saale) 1927 (= Schriften der Königsberger Gelehrten Gesellschaft. Geisteswissenschaftliche Klasse. 4. Jahr. Heft 5), S. 195–196, 198–200, 243–244, 284.
Salmen, Walter: Das 'Rostocker Liederbuch'. Eine Standortbestimmung. In: Heller, Karl / Möller, Hartmut / Waczkat, Andreas (Hrsg.): Musik in Mecklenburg. Beiträge eines Kolloquiums zur mecklenburgischen Musikgeschichte veranstaltet vom Institut für Musikwissenschaft der Universität Rostock, 24.–27. September 1997. Mit einer Zeittafel und einer Auswahlbibliographie zur mecklenburgischen Musikgeschichte. Hildesheim / Zürich / New York 2000. S. 109–128, hier: S. 118.
S[eelmann], W[ilhelm]: Rezension zu: Rostocker Niederdeutsches Liederbuch v. J. 1478. Hrg. von Bruno Claussen. Mit einer Auswahl der Melodien bearb. von Alb. Thierfelder. Rostock, Hinstorffs Hofbuchdruckerei 1919. In: Korrespondenzblatt des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. 37. 1919/1921. S. 64.
Touber, Anthonius H.: Deutsche Strophenformen des Mittelalters. Stuttgart 1975 (= Repertorien zur deutschen Literaturgeschichte. 6). S. 39.