"[...] sprack: 'dat scal syn'"

Textinformationen

Nummer im RLB: 11 (Claussen: 12)

Blattnummer: 12r/v

Texttyp: Register V – Historisch-politisches Lied (1.2)

Inhalt: Historisch-politisches Lied auf den Braunschweiger Brüderkrieg von 1431 (oder 1432). Herzog Heinrich von Braunschweig nutzte die Abwesenheit seines Bruders Wilhelm, um die Macht an sich zu reißen. Er erobert das Schloss Wolfenbüttel und vertreibt die dort lebende Gemahlin Wilhelms, Cäcilia von Brandenburg und ihre beiden Söhne. Nach der Rückkehr Wilhelms kommt es zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen den Brüdern. Die fragmentarisch erhaltene Nr. 11 erzählt (vermutlich) von den Ereignissen um die Belagerung des Schlosses Wolfenbüttel durch die Truppen Wilhelms. Der Sprecher des Liedes gibt sich in der letzten Strophe als "Peter von Straszeborgh" zu erkennen, der sich zum Augenzeugen des Geschehens stilisiert und erhofft, sich mit dem Lied die Gunst der "heren" und "fursten" zu sichern.
Weitere Hinweise zu den hier referenzierten Ereignissen sowie Quellenverweise finden Sie hier.

Schreiberhand: 1; Hauptschreiber, Kursive

Autor:Peter von Strazeborgh (V. 31)

Melodieaufzeichnung: Keine Melodie überliefert.

Notationstyp:

Textabdruck

Ranke/Müller-Blattau (1927) – S. 230 [38]f.

[Hier fehlt mindestens ein Blatt mit dem Eingang von Nr. 11.]

[. . . . . . . . . .]
[. . . . . . . . . .]
[. . . . . . . . . .]
[. . . . . . . . . .]
[. . . .] ſprack: 'dat ſcal ſyn.
men ſcal der furſtynnen ſchencken wyn,
ſe mach neyn ber gedrincken.'

Des morgens do id dagede,
dat dagede in allen landen,
do sach men mannigen kerle valſch
ghan vth al myt ſcanden.
ſe hadden laden vpp eynen wagen
eynen kalueſcop vnde ryndeſmage[n],
ſe wolden dat ſlot beſcheten.

Henne doryngh qwam her gerand
to wulfelbuttel vp den grouen,
he to hertogen hinrike ſprack:
"gy ſcullen juw wol entholden.
her [. .]s rote tret hir her."
dat weren hertogen hinrike leue mere,
ſyn herte begunde ſijck entvroyden.

[Lücke von einer Strophe.]

Men ſcal den kerlen recht
dat ſe de düüel priſe.
twar ſe ſynt von yudas ſlechte,
dat hebbet ſe wol bewiſet,
dat ſe oren heren verraden ha[nt]
vnde hebbet vorderüet en vil gud land:
d[es] h[eb]bet ſe yummer ſcande.

De vns deſſen rey nü ſangk,
de is des wol bekennich:
Peter von Strazeborgh is he genand,
he ſynget mit eren in allen landen,
he hopet des he enhebbe des nene ſchande
manckt heren vnde mangkt furſten.

Claussen (1919) – S. 23–25

[.......................................]
[.......................................]
[.......................................]
[.......................................]
[.......................................]
[.......................................]
[..........] ſprak dat ſcal ſyn
Men ſcal der furſtynnen ſchencken wyn,
Se mach neyn ber gedrincken.

Des morgens do id dagede
Dat dagede in allen landen,
Do ſach man mannigen kerle valſch
Ghan vth al myt ſcanden.
Se hadde laden vpp eynen wagen
Eynen kalvescop (to kaluertop) vnde ryndesmagen
Se wolden dat ſlot beſcheten.

Henne Doryngh quam her gerand
To wulfelbuttel vp den groven
He to hertogen hinrike ſprack
Gy ſcullen Juw wol entholden
Her avensrote treten hir her
Dat weren hertogen hinrikes leve mere
Syn herte begunde ſick entvroyden.

[.......................................]

Men ſcal den kerlen recht,
Dat ſe de duvel priſe.
Twar ſe ſynt van Yudas ſlechte,
Dat hebben ſe wol bewiſet,
Dat ſe eren heren verraden ha[n]
[Unde] hebben vordervet en vil gud land
D[at brochte ſe] ymmer ſcande.

De vns deſſen rey nü ſangk,
De is des wol bekennich,
Peter van Strazeborch is he genand,
He ſynget mit eren in allen land,
He hopet des he en hebbe nene ſchande
Manckt heren vnde manget furſten.

Sprachstand

H/N

Die Aufzeichnung von Lied Nr. 11 ist mittelniederdeutsch mit vornehmlich westniederdeutsch-ostfälischer Merkmalsausprägung. Ferner enthält das Stück einige hd. Formen.

Westniederdeutsch-Ostfälisch

Kennzeichnend für die Varietäten im mnd. Altland ist der Einheitsplural der Verben im Präsens Indikativ mit der Endung -et, der hier mehrmals durch die Form hebbet 'haben' (V. 25, 27, 28) vertreten ist. Als ostf. und westf. gelten überdies die Varianten, in denen das gedehnte o in offener Tonsilbe graphisch mit <o> realisiert wird, wie in grouen 'Graben' (V. 16), hopet 'hofft' (V. 33). Die Schreibung <u> anstelle von <o> im Verb scullen 'sollen' (V. 18) ist für das Ostf. und für die Gebiete am mnd. Westrand belegt. Besonders charakteristisch für das Ostf. ist darüber hinaus das Pronomen oren 'ihren' (V. 26).

Weniger spezifisch sind die Varianten juw 'euch' (V. 18) und vns 'uns' (V. 29), die im Nordnd., Südmärk. und Westf. verbreitet waren, sowie auch die Formen wol 'wohl' (V. 18, 25, 30) und dessen 'diesen' (V. 29). Erstere ist sowohl nordnd. als auch ostf., letztere kam im Nordnd. und Nordwestf. vor.

Hochdeutsch

Anstelle der Normalvariante forste mit Senkung u > o vor Konsonantenverbindungen mit r sind in Nr. 11 die Formen furstynnen 'Fürstin' (V. 6) und fursten 'Fürsten' (V. 34) belegt, die womöglich hd. beeinflusst sind. Zudem handelt es sich bei syn 'sein' (V. 5) um eine aus dem Hd. stammende Nebenform im mnd. Paradigma von 'sein'.

Liste der Kennformen

V. 5 syn 'sein' Hochdeutsch (Peters 2.1.10.3.)
V. 6 furstynnen 'Fürstin' Hochdeutsch
V. 16 grouen 'Graben' Ostfälisch, Westfälisch (Peters 1.2.2.)
V. 18 scullen 'sollen' Ostfälisch, Westrand (Peters 2.1.9.3.)
V. 18 juw 'euch' Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4)
V. 18 wol 'wohl' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.6.4.4.)
V. 25 wol 'wohl' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.6.4.4.)
V. 25 hebbet 'haben' Westniederdeutsch (Peters 2.1.1.)
V. 26 oren 'ihren' Ostfälisch (Peters 4.5.1.13.)
V. 27 hebbet 'haben' Westniederdeutsch (Peters 2.1.1.)
V. 28 hebbet 'haben' Westniederdeutsch (Peters 2.1.1.)
V. 29 vns 'uns' Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4)
V. 29 dessen 'diesen' Nordniederdeutsch, Nordwestfälisch (Peters 4.5.4.1.)
V. 30 wol 'wohl' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.6.4.4.)
V. 33 hopet 'hofft' Ostfälisch, Westfälisch (Peters 1.2.2.)
V. 34 fursten 'Fürsten' Hochdeutsch

Einspielungen

Keine Einspielungen vorhanden.

Parallelüberlieferung

Keine Parallelüberlieferung bekannt.

Literatur

Beckers, Hartmut: Mittelniederdeutsche Literatur. Versuch einer Bestandsaufnahme (III). In: Niederdeutsches Wort. 19. 1979. S. 1–28, hier: S. 25.

Classen, Albrecht: Deutsche Liederbücher des 15. und 16. Jahrhunderts. Münster [u.a.] 2001 (= Volksliedstudien. 1). S. 269–272.

Claussen, Bruno: Über den Fund eines niederdeutschen Liederbuchs aus dem Ende des 15. Jahrh. in Rostock. In: Korrespondenzblatt des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. 35. 1915. 2/3. S. 18–24, hier: S. 21, 23.

Claussen, Bruno (Hrsg.): Rostocker niederdeutsches Liederbuch vom Jahre 1478. Herausgegeben von Bruno Claussen mit einer Auswahl der Melodien bearbeitet von Albert Thierfelder. Buchschmuck von Thuro Balzer. Rostock 1919. S. 23–25, 77 A. 12.

Daebeler, Hans Jürgen: Musiker und Musikpflege in Rostock von der Stadtgründung bis 1700. Dissertation der Hohen Philosophischen Fakultät der Universität Rostock. Rostock 1966. S. 181–182.

Heydeck, Kurt: Die mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Rostock. Beschrieben von Kurt Heydeck. Wiesbaden 2001 (= Kataloge der Universitätsbibliothek Rostock. Erster Band: Die mittelalterlichen Handschriften). S. 130.

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Holtorf, Arne: Peter von Straßburg II. In: Ruh, Kurt / Wachinger, Burghart (Hrsg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Begründet von Wolfgang Stammler, fortgeführt von Karl Langosch. Unter Mitarbeit zahlreicher Fachgelehrter herausgegeben von Kurt Ruh zusammen mit Gundolf Keil, Werner Schröder, Burghart Wachinger, Franz Josef Worstbrock. 2., völlig neu bearb. Aufl. Berlin / New York 1978–2008. Bd. 7. Sp. 456–457.

Holznagel, Franz-Josef / Möller, Hartmut: Ein Fall von Interregionalität. Oswalds von Wolkenstein "Wach auf, mein hort" (Kl 101) in Südtirol und in Norddeutschland. In: Tervooren, Helmut / Haustein, Jens (Hrsg.): Regionale Literaturgeschichtsschreibung. Aufgaben, Analysen und Perspektiven. Berlin 2003. S. 102–133, hier: S. 106 A. 12.

Holznagel, Franz-Josef: Das 'Rostocker Liederbuch' und seine neue kritische Edition. Unter Mitarbeit von Andreas Bieberstedt, Udo Kühne und Hartmut Möller. In: Niederdeutsches Jahrbuch. 133. 2010. S. 45–86, hier: S. 45 A. 1, 50 A. 17, 54, 57 A. 43, 60–61.

Holznagel, Franz-Josef: Rostocker Liederbuch. In: Kühlmann, Wilhelm (Hrsg.): Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. 2., vollst. überarb. Aufl. Berlin / Boston 2008–2102. Band 10. 2011. S. 35–36, hier: S. 35–36.

Honemann, Volker: Politische Lieder und Sprüche im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit. In: Die Musikforschung. 50. 1997. S. 399–421, hier: S. 414.

Lietz, Hanno (Hrsg.): Bruno Claussen an der Universitätsbibliothek Rostock. 1912–1949. Rostock 1995 (= Veröffentlichungen der Universitätsbibliothek Rostock. 121). S. 57.

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S[eelmann], W[ilhelm]: Rezension zu: Rostocker Niederdeutsches Liederbuch v. J. 1478. Hrg. von Bruno Claussen. Mit einer Auswahl der Melodien bearb. von Alb. Thierfelder. Rostock, Hinstorffs Hofbuchdruckerei 1919. In: Korrespondenzblatt des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. 37. 1919/1921. S. 64.

Spiewok, Wolfgang: Das "Rostocker Liederbuch". In: Almanach für Kunst und Kultur im Ostseebezirk. 9. 1986. S. 65–70, hier: S. 68.

Spiewok, Wolfgang: Das Rostocker Liederbuch. In: Spiewok, Wolfgang / Buschinger, Danielle (Hrsg.): Mittelalter-Studien II. Göppingen 1989. S. 310–321, hier: S. 316.

Spiewok, Wolfgang: Das Rostocker Liederbuch. In: Spiewok, Wolfgang (Hrsg.): Mittelalterliche Literatur up plattdütsch. Greifswald 1998. S. 65–75, hier: S. 71.

Touber, Anthonius H.: Deutsche Strophenformen des Mittelalters. Stuttgart 1975 (= Repertorien zur deutschen Literaturgeschichte. 6). S. 39.