"[...] de schal my lef sin"

Textinformationen

Nummer im RLB: 10 (Claussen: 10/11)

Blattnummer: 11r/v

Texttyp: Register I – Werbelied/Mädchenlied (1.3.5)

Inhalt: Mädchenlied, das die Liebesbeteuerung einer jungen Frau mit der Klage über den negativen Einfluss der Neider verbindet, die während des Tanzes die Begegnung mit dem Geliebten zu unterbinden wissen. 

Schreiberhand: 2; Bastarda

Autor: Keine Autorinformationen vorhanden.

Melodieaufzeichnung: Keine Melodie überliefert.

Notationstyp:

Textabdruck

Ranke/Müller-Blattau (1927) – S. 229 [37]f.

[. . . . . .]
de ſchal my lef ſin.
ik wil [to] allen tiden
ſin denerinne ſin:
[. .] be nimpt my ſware pin. V.

Min lef iſt to verne,
ik ſ [. . . . .] ſelden,
he en ſchal an myn[em] herten
des nicht vntghelden,
[de] vriſche ſelle. V.

Ach dat he wedder queme,
[dat] duchte my wol gud.
he dot [my]nem jungen herten
vngh[. . . .]kes en noch.
God gheue e[m] alle gud. V.

[. . .] ik to dem danſſe gha
gheſmuok[ket] alſo wol,
ſo ſteid de vriſcher [ſell]e dar,
ſin herte is duſent [vro]uden vul,
ik gans em wer[liken] wol. ver.

[He] en dorſte en wort nicht ſpre[ken],
dat dot der nider dwank,
do [. . .] ſin iunge herte
van ſorghen [. . . .] krank,
do en de nider dwank.

[. . .] du valſche nider,
god ghe[ue] di vnghenoch!
du be nimmeſt [. . .] houeſchen vrowen
eren ſteden moet.
[god] geue dy nummer ghued!

Claussen (1919) – S. 22f.

Nr. 10
[..................................]
De ſchal my lef ſin
Jk wil to allen tiden
Sin denerinne ſin
[He] benimpt my ſware pin.

Min lef iſt ſo verne
Jk ſ[eh em ſo] ſelden
He en ſchal an mynem herten
Des nicht vorghelden
[De] vriſche ſelle.

Ach dat he wedder queme
[Dat] duchte my wol gud
He det [my]nem iungen herten
Ungh[eluc]kes en noch.
God gheve em alle gud.

Nr. 11
[Wen] ik to dem danſſe gha
Gheſmuk[ket] alſo wol,
So ſteid de vriſcher [ſell]e dar,
Sin herte is duſent [fro]uden vul,
Jk gans em ver[truwe] wol.

[M]en dorſte en wort nicht ſpre[ken],
Dat dot der nider dwank.
Do [wort] ſin iunge herte
Van ſorghen [unde truren] krank,
Do en de nider dwank.

Du valſche nider, god ghe[ve]
Di (vele) vnghenoch.
Du benimmeſt [der h]oveſchen vrowen
Eren ſteden mot
[God] geve dy nummer ghud.

Sprachstand

H/N

Der Sprachstand von RLB 10 ist mittelniederdeutsch mit mehrheitlich überregional gültigen neben vereinzelt westfälischen Varianten. Ferner finden sich punktuell hochdeutsche Formen.

Zu den überregionalen Formen zählen my 'mir' (V. 2, 5, 12) und dy/di 'dir' (V. 27, 30), die kennzeichnend für die Schreibsprachen des Nordnd., Südmärk. und Westf. sind, sowie die Formen wol 'wohl' (V. 12, 17, 20) und wedder 'wieder' (V. 11), die sowohl im Nordnd. als auch im Ostf. galten. Bemerkenswert ist darüber hinaus die westf. Variante dot 'tut' (V. 13, 22), die außer in Nr. 10 noch in den Stücken RLB 1, 7, 14, 22, 23 und 24 vorkommt. Die mnd. Normalvariante lautet deit.

Bei den Verbformen sin 'sein' (V. 2, 4) und ist handelt es sich um hd. beeinflusste Nebenformen im mnd. Paradigma von 'sein'.

Liste der Kennformen

V. 2 my 'mir' Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4)
V. 2 sin 'sein' Hochdeutsch (Peters 2.1.10.3.)
V. 4 sin 'sein' Hochdeutsch (Peters 2.1.10.3.)
V. 5 my 'mir' Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4)
V. 6 ist 'ist' Hochdeutsch (Peters 2.1.10.3.)
V. 11 wedder 'wieder' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 1.2.3.)
V. 12 my 'mir' Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4)
V. 12 wol 'wohl' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.6.4.4.)
V. 13 dot 'tut' Westfälisch (Peters 2.1.10.2.)
V. 17 wol 'wohl' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.6.4.4.)
V. 20 wol 'wohl' Nordniederdeutsch, Ostfälisch (Peters 4.6.4.4.)
V. 22 dot 'tut' Westfälisch (Peters 2.1.10.2.)
V. 27 di 'dir' Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4)
V. 30 dy 'dir' Nordniederdeutsch, Südmärkisch, Westfälisch (Peters 2.4)

Einspielungen

Keine Einspielungen vorhanden.

Parallelüberlieferung

Keine Parallelüberlieferung bekannt.

Literatur

Alpers, Paul: Rezension zu: Rostocker Niederdeutsches Liederbuch vom Jahre 1478. Her. von Bruno Claussen, mit einer Auswahl der Melodien bearbeitet von Albert Thierfelder. Buchschmuck von Thuw Balzer 1919. Rostock, Hinstorff. In: Zeitschrift für deutsche Mundarten. 15. 1920. S. 186–187, hier: S. 186–187.

Alpers, Paul (Hrsg.): Die alten niederdeutschen Volkslieder. Gesammelt und mit Anmerkungen herausgegeben von Paul Alpers. Hamburg 1924. S. 143, 243.

Alpers, Paul (Hrsg.): Alte niederdeutsche Volkslieder mit ihren Weisen. 2. stark veränd. Aufl. Münster 1960. S. 117, S. 207.

Beckers, Hartmut: Mittelniederdeutsche Literatur. Versuch einer Bestandsaufnahme (III). In: Niederdeutsches Wort. 19. 1979. S. 1–28, hier S. 10 A. 20, 11.

Classen, Albrecht: Deutsche Frauenlieder des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts. Authentische Stimmen in der deutschen Frauenliteratur der Frühneuzeit oder Vertreter einer poetischen Gattung (das "Frauenlied"?). Einleitung, Edition und Kommentar von Albrecht Classen. Amsterdam / Atlanta 1999 (= Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur. 136). S. 120.

Classen, Albrecht: Deutsche Liederbücher des 15. und 16. Jahrhunderts. Münster [u.a.] 2001 (= Volksliedstudien. 1). S. 270–271.

Claussen, Bruno: Über den Fund eines niederdeutschen Liederbuchs aus dem Ende des 15. Jahrh. in Rostock. In: Korrespondenzblatt des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. 35. 1915. 2/3. S. 18–24, hier: S. 23.

Claussen, Bruno (Hrsg.): Rostocker niederdeutsches Liederbuch vom Jahre 1478. Herausgegeben von Bruno Claussen mit einer Auswahl der Melodien bearbeitet von Albert Thierfelder. Buchschmuck von Thuro Balzer. Rostock 1919. S. VIII, 22–23, 77 A. 11.

Daebeler, Hans Jürgen: Musiker und Musikpflege in Rostock von der Stadtgründung bis 1700. Dissertation der Hohen Philosophischen Fakultät der Universität Rostock. Rostock 1966. S. 182.

Heydeck, Kurt: Die mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Rostock. Beschrieben von Kurt Heydeck. Wiesbaden 2001 (= Kataloge der Universitätsbibliothek Rostock. Erster Band: Die mittelalterlichen Handschriften). S. 130.

Holtorf, Arne: 'Rostocker Liederbuch'. In: Ruh, Kurt / Wachinger, Burghart (Hrsg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Begründet von Wolfgang Stammler, fortgeführt von Karl Langosch. Unter Mitarbeit zahlreicher Fachgelehrter herausgegeben von Kurt Ruh zusammen mit Gundolf Keil, Werner Schröder, Burghart Wachinger, Franz Josef Worstbrock. 2., völlig neu bearb. Aufl. Berlin / New York 1978–2008. Bd. 8. Sp. 253–257, hier: Sp. 255.

Holznagel, Franz-Josef: Das 'Rostocker Liederbuch' und seine neue kritische Edition. Unter Mitarbeit von Andreas Bieberstedt, Udo Kühne und Hartmut Möller. In: Niederdeutsches Jahrbuch. 133. 2010. S. 45–86, hier: S. 50, 54.

Holznagel, Franz-Josef: Rostocker Liederbuch. In: Kühlmann, Wilhelm (Hrsg.): Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. 2., vollst. überarb. Aufl. Berlin / Boston 2008–2102. Band 10. 2011. S. 35–36, hier: S. 35.

Holznagel, Franz-Josef: Songs and Identities. Handwritten Secular Songbooks in German-Speaking Areas of the Fifteenth and Sixteenth Centuries. In: Poel, Dieuwke van der / Grijp, Louis Peter / Anrooij, Wim van (Hrsg.): Identity, Intertextuality, and Performance in Early Modern Song Culture. Leiden, Boston 2016 (= Intersections. 43). S. 118-149, hier: S. 132-133.

Lietz, Hanno (Hrsg.): Bruno Claussen an der Universitätsbibliothek Rostock. 1912–1949. Rostock 1995 (= Veröffentlichungen der Universitätsbibliothek Rostock. 121). S. 57.

Möller, Hartmut: Das Rostocker Liederbuch. Aktuelle Perspektiven der Forschung. In: Ochs, Ekkehard (Hrsg.): Studien zur lokalen und territorialen Musikgeschichte Mecklenburgs und Pommerns. Im Auftrag des Landesmusikrates Mecklenburg-Vorpommern e.V. herausgegeben von Ekkehard Ochs. II. Greifswald 2002. Bd. 2. S. 107–111, hier: S. 110.

Meier, John: Allerhand. 2. Ein Lied des vorhöfischen Minnesangs im Rostocker Liederbuch von 1465. In: Jahrbuch für Volksliedforschung. 5. 1936. S. 59–61, hier: S. 59–61.

Ranke, Friedrich / Müller-Blattau, Joseph M. (Hrsg.): Das Rostocker Liederbuch nach den Fragmenten der Handschrift neu herausgegeben von Friedrich Ranke und J. M. Müller-Blattau. Halle (Saale) 1927 (= Schriften der Königsberger Gelehrten Gesellschaft. Geisteswissenschaftliche Klasse. 4. Jahr. Heft 5), S. 195–196, 198–200, 229–230, 281, 307.

Rieschel, Hanspeter: Die alten niederdeutschen Lieder des Rostocker Liederbuches. In: Deutsche Musikkultur. 3. 1938/1939. S. 472–477, hier: S. 476.

Salmen, Walter: Das 'Rostocker Liederbuch'. Eine Standortbestimmung. In: Heller, Karl / Möller, Hartmut / Waczkat, Andreas (Hrsg.): Musik in Mecklenburg. Beiträge eines Kolloquiums zur mecklenburgischen Musikgeschichte veranstaltet vom Institut für Musikwissenschaft der Universität Rostock, 24.–27. September 1997. Mit einer Zeittafel und einer Auswahlbibliographie zur mecklenburgischen Musikgeschichte. Hildesheim / Zürich / New York 2000. S. 109–128, hier: S. 118, 123.

S[eelmann], W[ilhelm]: Rezension zu: Rostocker Niederdeutsches Liederbuch v. J. 1478. Hrg. von Bruno Claussen. Mit einer Auswahl der Melodien bearb. von Alb. Thierfelder. Rostock, Hinstorffs Hofbuchdruckerei 1919. In: Korrespondenzblatt des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. 37. 1919/1921. S. 64.

Touber, Anthonius H.: Deutsche Strophenformen des Mittelalters. Stuttgart 1975 (= Repertorien zur deutschen Literaturgeschichte. 6). S. 39.